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Laufwunder

Verrückter Rennsteiglauf

22. Mai 2011 , Geschrieben von Holger

Null-Bock auf GutsMuths

Bis vor einer Woche standen die Signale für den Rennsteiglauf alle auf super-grün. Ich hatte besser (anders) trainiert als im Vorjahr, bin eine Woche eher in die Regeneration gegangen und wartete nur noch darauf, dass sich die ungebremste Vorfreude auf den Rennsteig einstellen würde. Doch die kam nicht, stattdessen ärgerte ich mich seit dem letzten Wochenende mit einer aufkommenden Erkältung herum. Unter der Woche ist es mir zwar mit allerlei homöopathischen Mittelchen gelungen, die halbwegs in den Griff zu bekommen, doch richtig fit fühlte ich mich nicht und damit stieg auch meine Unsicherheit, denn ich wusste, was mir dieser Lauf abverlangen würde. Meine Gefühlsspanne bewegte sich die ganze Woche hin und her zwischen den Werten „wird schon noch“ und „lass es sein“. Mit diesen Gedanken bin ich Freitag abend nach Eisenach gefahren und hoffte, spätestens im Festzelt ein bisschen Stimmung und Vorfreude aufnehmen zu können. Aber es war eher ein mechanischer Ablauf – Startunterlagen holen, Klöße essen (übrigens sehr lecker), nicht mal das Köstritzer wollte richtig schmecken. Am nächsten Morgen stand ich um 04.30 Uhr auf, frühstückte ein bisschen was und zog mich für den Lauf an. Ehrlich gesagt, ich hätte lieber weitergeschlafen. Nichts von Vorstart-Euphorie, eigentlich „Null-Bock“. Also blieb nur noch, abzuwarten und zu hoffen, dass die Freude vielleicht während des Laufes entstehen würde.

Pflegefall am Inselsberg

Der Plan war, dass es Andrea, Dagi, Silvio, Norbert und ich zusammen versuchen wollten, so, wie es uns bei der Harzquerung gelungen war. Doch nicht mal mit dem Startschuss kam bei mir Laufstimmung auf. Ich rannte einfach mit den anderen los. Wir hatten zunächst das Tempo vom Harz drauf, mit dem wir seinerzeit gut zurechtkamen. An der Glasbachwiese angekommen, hatte ich mich schon ziemlich angestrengt und es waren grade 17 Kilometer gelaufen. Wir teilten uns deshalb am Verpflegungspunkt, denn ich musste unbedingt langsamer vorgehen, wenn ich kein Fiasko erleben wollte. Ich zog dann allein weiter Richtung Inselsberg. Den erreichte ich zwar in der gleichen Zeit wie im letzten Jahr – aber in welchem Zustand! Damals locker, frisch und mit Spaß. Heute dagegen brannten die Muskeln, ich war völlig ausgepumpt und hatte kein bisschen Lust mehr. Echt mal, wenn mir dort einer angeboten hätte, mich nach Hause zu fahren – ich hätte es gemacht! Es fand sich aber keiner, also musste ich drüber nachdenken, wie ich die restlichen knapp 50 Kilometer schaffen wollte. Ich hatte wirklich keinen Plan und zog erst mal weiter über die Grenzwiese Richtung Heuberghaus. Auf den leichten Gefälleabschnitten kam ich dann ins Laufen, aber die Beine wurden nicht leichter. Langsam wurde es auch wärmer und der Husten nervte ziemlich. So trödelte ich voran Richtung Ebertswiese. Plötzlich überholten mich Ramona und Petra, kurze Zeit kam auch Katrin mit ihren Freundinnen vorbei.

Würdevoll nach Oberhof

Ich begutachtete meine Lage und sah mich an diesem Tag nicht würdevoll in Schmiedefeld ankommen. Beim Stichwort „würdevoll“ fiel mir ein, dass es ja auch die Möglichkeit gab, in Oberhof auszusteigen. Mit allen Würden sozusagen – bei Kilometer 55 mit Zeitnahme und Medaille. Das hielt ich für realistisch, denn mit dem Besenwagen wollte ich nicht in Schmiedefeld ankommen. Das wäre nicht der Lauf, auf den ich mich vorbereitet hatte! Also telefonierte ich kurz vor der Ebertswiese und bat Manu, mich in Oberhof in Empfang zu nehmen. Der Weg dahin war sowieso noch schwer genug, 17 Kilometer mit dem „Sperrhügel“ dazwischen. Ich rechnete kurz die Zeit hoch, die man als zügiger Wanderer dorthin brauchen würde, denn mit Laufen ging nichts mehr so richtig. Mit dem neuen Ziel im Kopf, machte ich mich auf den Weg. Ich wanderte und joggte vor mich hin, wie es grade ging und irgendwann war ich am Getränkepunkt Neuhöfer Wiese. Das Gelände wurde nun etwas flacher und ich wusste, mein Ziel näherte sich. Der Kopf arbeitete: „Du kennst doch den Spruch – wenn man einmal in Oberhof ist .. .“ Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. „Ein Halbmarathon geht immer“, das mag Motivation für den sein, der nur mal kurz schwächelte. Ich dagegen war ein laufendes Wrack, dass die Kilometer runterzählte. Bis zum Kilometer 47 kam ich auf diese Weise.

Ein echtes Laufwunder

Was dann geschah, kann ich auch mit einem Tag Abstand noch nicht genau deuten. Zunächst begann es wie verrückt zu regnen. Und plötzlich schlug meine Stimmung komplett um! Von einer Minute auf die andere hatte ich Spaß, ich hatte wieder richtig Kraft, mir ging es zum ersten Mal gut und ich konnte auf einmal locker und schnell laufen! Ein Laufwunder der besonderen Art musste passiert sein! Ich begann diesen Lauf praktisch nach 48 Kilometern. Ich war wie ausgewechselt, hatte Spaß am Schwatzen mit Läufern rechts und links und kam schnell voran. Manu rief an, um meine Ankunftszeit in Oberhof abzufragen. Oberhof? Warum denn Oberhof? Sicherheitshalber machten wir uns aus, dass ich mich kurz vorher nochmal melde, aber mein Ziel hieß jetzt wieder Schmiedefeld! Ich wollte das Gefühl der Zielgeraden, ich wollte die richtige Medaille, ich wollte das Finisher-Shirt! Das hätte mir einer auf dem Inselsberg sagen müssen – ich hätte ihn verjagt!

In Oberhof machte ich kurz Rast und bat Manu, nun endgültig ins „richtige“ Ziel zu kommen. Es hatte nach einer guten Stunde auch wieder aufgehört zu regnen. Die Klamotten waren komplett nass, aber es war immer noch warm, die Luft fühlte sich frisch an und jetzt war auch das Lächeln im Gesicht. Diese letzten 17 Kilometer waren der pure Laufspaß! Im Vergleich zum Vorjahr kam ich eine halbe Stunde später in Oberhof an, in Schmiedefeld fehlten nur noch ganze zehn Minuten an der Vorjahreszeit! An den Kreuzwegen noch ein Schluck Bier und dann Vollgas. Ich wusste ja, wo das 70er Schild steht. Das ist eine meiner Trainingstrecken. Dort, wo es am Foto0092.jpg„Schwarzen Crux“ über die Straße ging, wartete Manu schon. Ich flog vorbei und hoffte, sie würde es vor mir ins Ziel schaffen. Dieser letzte Kilometer ist sowieso der schönste. Anfeuerungen von allen Seiten, kein Schmerz weit und breit.

Mit Lächeln und Spaß - so wird beim Rennsteiglauf ins Ziel gelaufen! Für das Gefühl dieser letzten zweihundert Meter tue ich alles, das ist einfach nur irre! Alle Quälerei der letzten Stunden ist in diesem Moment kein Thema mehr. Den Zieleinlauf erlebte ich wieder wie im Rausch, ich muss mir das erst mal auf dem Video ansehen.


Sechs Stunden vorher war ich der blanke Pflegefall – nun stand ich überglücklich mit meiner Medaille im Ziel des Super-Marathons! Ist schon verrückt, der Rennsteiglauf!

Eine Stunde später, nach Dusche und Massage, sah die Welt schon ganz entspannt aus, oder? Und auch das Bier schmeckte übrigens wieder!

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R
<br /> Hallo Holger,<br /> schön, dass wir uns endlich auch mal kennenlernen durften. Ich fand es sehr grenzwertig, dass du mit so einer Erkältung die lange Strecke gelaufen bist. Das würde ich mich nicht trauen. Aber, es<br /> ist ja gut gegangen!<br /> Zu Deinem Zieleinlauf kann ich dir nur gratulieren! Du hast dir das Shirt hart erkämpft!<br /> Bleib gesund!<br /> Liebe Grüße, Ramona<br /> <br /> <br />
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M
<br /> Hallo mein Liebster, ich schließe mich den Worten unserer Tochter an - ich bin stolz auf dich, aber pass auch auf dich auf. Ich brauche dich noch gaaaanz lange lustig und gesund. (auch wenn wir<br /> schon in der AK50 laufen :))<br /> Ich liebe dich!!!<br /> <br /> <br />
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H
<br /> <br /> Hallo meine Süße - wir werden nun mal nicht jünger (du auch nicht - ätsch). Aber bissel was geht noch und Ausdauer ist in jeder Lebenslage gut :-)<br /> Ansonsten haste natürlich recht - wie (fast) immer ;-)<br /> <br /> <br /> <br />
N
<br /> 1. Freude, die während des laufes anfängt ist keine vorfreude (und kann auch keine mehr werden)! o.O<br /> <br /> 2. Das Bild mit dem Kuss für die Medallie zeigt die Emotionen viel schöner! (neus profilbild, bitte!) ;)<br /> <br /> 3. Herzlichen Glüwckwunsch, dass du das noch so positiv gedreht hast (bin stolz auf dich) :)<br /> <br /> 4. Ich hätte dich lieber noch ne Weile ohne Pflegefall-Anfälle (egal obs gut ausgeht. Also pass auf dich auf!) :*<br /> <br /> <br />
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H
<br /> <br /> Hallo Pappnäschen - also los, nachmachen und nächstes Jahr auf dem Halbmarathon :-)<br /> Foto wird umgehend ausgetauscht. Lieben Dank für die Glückwünsche!<br /> <br /> <br /> <br />
P
<br /> Lieber Holger,<br /> <br /> ich freue mich soo für dich, daß dieser Lauf so positiv für dich geendet hat. Ein wenig durften wir ja deinen Umschwung miterleben. Ich habe mich sehr für dich gefreut, daß du später wieder so gut<br /> laufen konntest. Jetzt kuriere dich aber richtig aus!<br /> Viele liebe Grüße auch an Manu<br /> Petra<br /> <br /> <br />
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H
<br /> <br /> Hallo Petra,<br /> irgendwann während dieses Laufes musste sich ja mal die Kraft entfalten, wenn nicht am Anfang, dann eben am Ende :-) Wichtig ist, dass wir alle gut reingekommen sind.<br /> Liebe Grüße vom Holger<br /> <br /> <br /> <br />
J
<br /> Das sind die Laufberichte, die einem die Tränen in die Augen treiben. Gratulation zum Finish. Dabei ist eigentlich klar was passierte. In den langen Wanderpassagen hast du dich einfach so gut<br /> erholt, dass es dann ging. Als die schwülwarme Luft weg war, lief es dann einfach. Super gemacht.<br /> <br /> JÖrg<br /> <br /> <br />
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H
<br /> <br /> Danke für die Glückwünsche - die gehen voll an dich zurück! Man erlebt halt immer mal was Neues auf einer Ultra-Strecke, das ist ja das Faszinierende daran.<br /> Grüße vom Holger<br /> <br /> <br /> <br />