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Laufwunder

4 - Alles von vorn - Rennsteiglauf 2008

Noch stehe ich ganz unter dem Eindruck des heutigen Laufes, nebenbei bemerkt, meines zwölften Marathons auf dem Rennsteig. Es war der bisher langsamste Marathon meines Lebens. Warum er dennoch eine besondere Bedeutung für mich hatte – um das zu verstehen, muss ich euch ein bisschen mehr von mir verraten.

 

Ich laufe seit 1985 und 1986 lief ich das erste Mal auf dem Rennsteig. Seitdem beherrschen mich dieser Lauf und die Herausforderung, den Körper so zu trainieren, dass er eine derart lange Belastung gut durchsteht. Nach und nach kam der eine oder andere Stadtmarathon dazu und auch die Gier, bestimmte Zeiten zu laufen. Ich muss dazu sagen, dass ich ein reiner Freizeitsportler bin, mit Sicherheit nicht für Höchstleistungen gemacht, aber immer gerne dabei, ob es Laufen oder Fitness ist – der Spaß an der Bewegung als Ausgleich zur Arbeit stand eigentlich stets im Vordergrund. Ich konnte mich immer daran freuen, einen Lauf gut zu beenden und das vielleicht noch eine Minute schneller als im Vorjahr. Das war früher okay.

 

Der oben genannte Wunsch nach Leistungssteigerung führte ab 2006 dazu, dass ich mich verstärkt mit Trainingsplänen, Leistungsdiagnostik und Ähnlichem beschäftigte. Der Berlin-Marathon 2006 sollte der große Tag werden, an dem ich die 4-Stunden-Marke knacken wollte. Ich hatte es zuvor ohne besondere Pläne nur um drei Minuten verfehlt, nun sollte es mit einem „Schlachtplan" klappen. Auf Teufel komm raus wurde der Trainingsplan umgesetzt, egal, wie es mir körperlich ging, verbissen und korrekt habe ich alles gemacht, was da stand.

 

Dazu kamen wachsende Belastungen im beruflichen und privaten Umfeld. Ich habe überhaupt nicht bemerkt, wie ich meinen geliebten Laufsport nicht mehr als Ausgleich zum beruflichen Stress und zur Gesunderhaltung betrieben habe, sondern den Sport als Dogma, als zusätzliche Pflicht, vielleicht sogar als Fetisch missbraucht habe. Kurz gesagt, die Zeit in Berlin schaffte ich nicht, der Kopf war total blockiert und nach dem Marathon reagierte mein Körper mit kompletter Leistungsverweigerung. Beim Joggen im leichten Trab war der Puls nach einer Minute bei 180, ich bekam kaum Luft. Manchmal stand ich am Anfang meiner Laufstrecke und mein ganzer Körper schrie innerlich: „Nein!" – kein Schritt ging, ich bin oft trotz festen Vorhabens ohne einen einzigen Schritt wieder heimgefahren.

 

Im Winter 2006/2007 bekam ich scheinbar eine Erkältung mit nicht enden wollendem Husten. Kein Antibiotikum half, nichts. Der Lungenarzt diagnostizierte am Ende Asthma! Nie im Leben hatte ich so etwas wie Asthma! Was den Doc allerdings wunderte – keines der Medikamente zeigte Wirkung! Zum Glück wusste einer der vielen Ärzte, dass Krankheiten auch psychosomatische Ursachen haben können und verfolgte diese Annahme. Damit kamen wir meinem Problem endlich auf die Spur. Ihr wisst es vielleicht: Die Summe aller Belastungen, die auf einen Menschen wirken, an deren Ende „gar nichts mehr geht", nennt man Burn-Out-Syndrom.

 

Das Problem ist, es zu erkennen und so gingen eben mehrere Monate ins Land, bis ich dagegen etwas tun konnte. Medikamente zeigten zwar insofern Wirkung, dass in kurzer Zeit die Asthma-Symptome verschwunden waren, hatten aber gravierende Nebenwirkungen. Antriebslosigkeit und Gewichtszunahme waren die schlimmsten. Ich hatte tatsächlich geglaubt, mit Hilfe der Medikamente kann ich weitermachen wie bisher, immer volle Pulle, beruflich, privat, sportlich … Ein weiterer Irrtum! Dann kippte die Stimmung in die andere Richtung – ich kam mir extrem minderwertig vor, erst Power überall, nun die Situation, dass ich sportlich überhaupt nichts mehr konnte und es am besten sein lassen sollte. Erst ein mehrwöchiger, stationärer Aufenthalt in einer psychosomatischen Reha-Klinik Ende 2007 brachte die Wende und dazu eine Menge lebenswichtiger Erkenntnisse für mich. Ich lernte neu, mich auch an kleinen Dingen und scheinbar unbedeutenden Leistungen zu freuen. Ich war plötzlich stolz, nach der langen Zeit wieder fünf oder zehn Kilometer durchzuhalten, langsam und gemütlich, das hätte ich mir früher nie träumen lassen!

 

Ich schreibe euch das alles so ausführlich, weil ich den einen oder anderen vor diesen Erlebnissen bewahren möchte. Ich rate euch bei allem Ehrgeiz – überprüft immer mal zwischendurch eure Motivation! Ihr müsst rechtzeitig erkennen, wann ihr möglicherweise beginnt, den Sport um seiner selbst Willen zu betreiben! Dann ist Vorsicht geboten. Der Grat zur Sucht ist schmal und der Weg zurück mühsam.

 

Ja, und nun war ich doch wieder beim Rennsteiglauf und bin den Marathon gelaufen! Ich gebe zu, es war eigentlich nicht meine Absicht. Ich hatte nach meinen vielen neuen Erkenntnissen beschlossen, für den Halbmarathon zu melden und hatte das auch schon erledigt. Eigentlich als Training dazu habe ich am 32 km-Trainingslauf der Aktion „Aufs Ganze" teilgenommen. Dort lief ich locker am Ende des Feldes und hatte Gelegenheit, mich ausführlich mit Frank und Petra zu unterhalten. Petra hat das übrigens sehr schön in ihrem Blog unter http://petra.over-blog.org/article-19522449.html reflektiert.

 

Beide bestärkten mich in dem Gedanken, dass auch das Bezwingen einer langen Strecke schon Leistung genug ist und dass es möglich ist, einen langen Lauf auch zu genießen und ohne Zeitdruck zu absolvieren. Als der 32 km-Lauf dann auch wider Erwarten gut verlief, reifte der Entschluss, es doch mit dem Marathon zu versuchen. So kam das und heute bin ich gemeinsam mit Frank und Petra einen Großteil der Strecke gemeinsam gelaufen. Wir halfen uns gegenseitig voran, kämpften mit kleineren Wehwechen und am Ende liefen wir lächelnd ins Ziel – so wie es sein soll. Die Zeit von knapp 6 Stunden habe ich eigentlich nur am Rande registriert. So kam ich zu meinem langsamsten Marathon, aber vielleicht zu meinem wertvollsten.

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